Einen Pfennig pro Höhenmeter

... oder wie umrundet man den Perlenbachsee

Ihren Anfang nahm dieses Geschichte als Andreas, Martin und der Roadrunner Ende Oktober 1996 das Hohe Venn durchradelten und einer von seinen Plänen berichtete, im kommenden Sommer in Tagestouren alle Stauseen des Deutsch-Belgischen-Naturparks zu besuchen. Es ist nur durch den rauschähnlichen Zustand, in den der Radwanderer üblicherweise an langen Steigungen gerät, zu erklären, daß wir meinten, alle Gewässer auf einer einzigen Tour besuchen zu müssen. Natürlich nur um die langen Anfahrten aus Aachen zu sparen...

Während draußen im Venn der Schnee auf den Wegen lag, planten wir drinnen im Warmen die Route. Und an dem avisierten Freitag im Juni 1997 (?) trafen sich Robert und Martin um 18 Uhr. Die Fahrt begann bei acht Achtel Stratosbewölkung. Der Weg führte durch den Aachener Wald nach Lichtenbusch, wo sich erste Zeichen der Feuchtigkeit von oben bemerkbar machten. Hmm, dachte ich, soll so das Wochenende werden? In Raeren wurde es dann unerträglich und in meinem Kopf herrschte nur ein Gedanke: Magura, Ortlieb, GoreTex! Eingehüllt erreichten wir die Wesertalsperre (1) , die sich in vornehmes Grau gekleidet hatte. Dichte Nebelschwaden zogen in Baumwipfelhöhe von Westen her das Tal hinauf: Schaurig ihr Anblick und Inhalt.

In Eupen lief dann fast das Wasser durch die Felgen. Doch dann zeigte sich dieser Silberstreifen am Horizont - wir näherten uns der Gileppe-Talsperre von unten. Zunächst ließen wir sie links liegen. Nachdem wir das Zelt im Trockenen und Hellen 2km weiter in Louviépré errichtet hatten, kehrten wir zurück und genossen den Sonnenuntergang bei dem gigantischen Stein-Löwen auf der Staumauer der Gileppe (2). Honigbrote verspeisten wir zum Abendessen im Zelt bei Musik - Regentrommeln auf der Plane, Stakato, Opus 48 Kilometer.

Gutgefrühstückt wärmten wir uns am nächsten Morgen am Anstieg zum Botrange - dem höchsten Berg Belgiens - auf. Wieviel es in der Nacht geregnet hatte erzählten uns die vielen Gräben, die überall aus dem Moor plätscherten. Majestätisch erhob sich das Belle Croix vor uns aus dem Nebel und wir entschieden uns abermals für die Raumfahrt-Bekleidung - diesmal als Kälteschutz.

Doch wenige Minuten später kamen wir aus dem Wald und in die Sonne. Kurzärmlig genossen wir die Überfahrt der Mauer von Robertville (3). Der fast bis zum Überlauf gefüllte See schlängelte sich durch malerische Wälder und Wiesen eines engen Tals. Die Sonne lachte vom azurblauem Himmel auf uns herab - nur der Gipfel des Botrange hüllte sich in schwarze Wolken, die aber nicht zu uns herüber kammen. Es war fast wie in Frankreich - da wieß ein Schild den Weg nach Champagne - waren wir schon so weit? Wir kurbelten uns durch leicht welliges Gelände der Büttgenbacher Talsperre (4) entgegen. Deren schräge halbrunden Betonbögen erlaubten einen bizarren Blick in die Tiefe.

Auf abenteuerlichem Pfad - teilweise quer durch den Wald - radelten wir entlang des südlichen Seeufers. Vor Wirtzfeld fand sich die befestigte Straße wieder. Nach dem Botrange überwanden wir kurz hinter Rocherath die zweite Wasserscheide des Tages. Von nun an waren wir im Olef-Urft-Rur-System. Es ging nun eine Weile bergab - dabei überquerten wir die Olefmauer (5).

Genau passend um die Mittagszeit bot ein Italiener eine Portion Pasta an: Yeah, Carbo-Loading! Frisch gestärkt und gut gesonnt nahmen wir den Hügel von Schleiden nach Herhahn in Angriff, um sogleich auf der anderen Seite wieder nach Einruhr hinunter zu rollen. Leider liegt am Urftsee der Truppenübungsplatz Vogelsang, und schon im letzten Oktober mußten wir lernen, daß in Gmünd ein Schlagbaum und Unmengen Stacheldraht ein Weiterkommen entlang der Urft verhindern - also blieb nur die Route über den Berg.

Der obere Rursee (6) war voll. So konnten wir hier erstmals einen Überlauf in Funktion sehen. Wir überquerten den Paulushofdamm und fuhren am Nordufer des Sees zur Urftstaumauer (7). Dieser Weg liegt innerhalb des militärischen Sperrgebietes, ist an Wochenenden jedoch benutzbar.

Zurück über den Paulushofdamm bogen wir gleich nach rechts über den Eiserbachdamm nach Rurberg ein. Hier stießen wir auf das nächste Hindernis: ein Volksfest - Massenauflauf vor Schaustellerbuden, Würstchenbrätern und Bierzelten. Beim ständigen Auf und Ab in Woffelsbach keimte Zweifel an der Richtigkeit des Weges. Schließlich erreichten wir nach 106km am Wildenhof das nächste Fest: Bootstaufe! Diese beiden Radler waren, was ihre Anreise betraf, die ungewöhnlichsten Gäste - ja, da waren sie wieder die Fragezeichen auf den Gesichtern der Gesprächspartner.

Zur Nacht gab es noch ein Feuerwerk unter Sternenhimmel - Dieses Wochenende war Rursee in Flammen.

An Sonntagmorgen frühstückten wir auf der Terrasse in der Sonne. Am Nordufer geleitete uns ein Schotterweg entlang des Sees. Plötzlich biß die Defekthexe zu: Ein Ast verklemmte Martins Bremse im Hinterrad, und es sah schon so aus, als sei die Reise hier zu Ende: Eisenbahn in Heimbach? Doch mit brachialer Gewalt, das Bügelschloß als Hebel unter dem Trettlager abgestützt, wurde der verbogene Anlötsockel wieder in seine ursprüngliche Position gedrückt.

Auf dem Staudamm in Schwammenaul (8) warfen wir einen letzten Blick auf den Rursee und schwangen uns den schmalen Teerweg hinab ins Tal nach Heimbach unserem nächsten Ziel dem gleichnamigen Staubecken (9) entgegen.

Wir wählten den Ruruferradweg. Doch zwischen Blens und Abenden nahm dieser einen merkwürdigen Verlauf: ein unerwarteter Knick nach links, geradeaus und rechts nur mannshohe Brennesseln. Durch eine Schlucht ging es nach oben. Natürlich stürzte hier, durch die starken Niederschläge verursacht, uns ein Bach entgegen. Über eine Treppe (!) verließen wir den unwegsamen Ort. Der Weg war schmal, steil und glitschig. Unsere schwachprofilierten Reifen vermochten auf diesem Untergrund nichts: Absteigen! Zwei Paar Hände ergriffen ein Fahrrad, zerrten und drückten es 80 Meter in die Höhe. Danach zurück, um dem anderen Rad die gleiche Behandlung angedeihen zu lassen. Dabei quälte sich eine Gruppe Mountain-Biker an uns vorbei. Doch kaum 200 Meter später holten wir sie ein - es waren Sonntagssportler :-)

In Abenden fand sich wieder Teer unter unseren Drahteseln. Weil wir der Karte nicht sicher entnehmen konnten, von Laach nach Maubach der Rur entlagfahren zu können, entschieden wir uns für den Radweg hinauf nach Nideggen und über Rath zurück ins Tal.

Wir kamen zum Staubecken in Obermaubach (10). Hier verließen wir zum dritten Mal das Rurtal - jedoch jetzt entgültig. Hinauf in den Hürtgenwald strampelten wir auf dem größten Ritzel. Herabtropfender Schweiß kühlte den in der Sonne flimmernden Asphalt. Oben angekommen waren wir uns sofort einig, daß wir jetzt auf der Stelle Wasser und Müsliriegel brauchten. Frisch gestärkt ging es über den Rennweg hinunter ins Wehebachtal. Der Talsperre dort näherten wir uns aus dem Unterlauf.

Oben auf dem Damm (11) fand sich eine Bank, die zur Rast einlud. Wir verzehrten das verbliebene Brot und den Honig beim Studium der Karte. Dabei wurde festgestellt: Mit dieser Wehebachsperre, da hatten wir uns was angetan! Sandwege führten uns 300 Höhenmeter hinauf nach Raffelsbrand, um gleich wieder über jene Geröllhalde hinunter zur Kall zu hoppeln.

Doch das hatte sich gelohnt: Hier war alles naß, es mußte sehr stark geregnet haben - der Kallsee (12) lief über - ein beeindruckendes Schauspiel. Richtung Lammersdorf stürzte die Kall großflächig durch den Wald - ihr Bett war für diese Wassermengen zu klein geworden. Die Gräben rechts und links fluteten über den Weg.

Auch der Dreilägerbach führte reichlich Wasser - überall rauschte und plätscherte es. Diese Talsperre (13) hatte schätzungsweise noch einen halben Meter Luft in Reserve.

Von hier war es fast nur noch ein Steinwurf über Relais Königsberg und Lichtenbusch zurück nach Aachen. Wir erreichten die Kreuzung, an der wir uns am Freitag getroffen hatten, um 17.58 Uhr: dreizehn Seen in 48 Stunden, insgesamt 261km und 2850 Höhenmeter. Nächstes Jahr wieder - nur dann statten wir dem Perlenbach auch einen Besuch ab. Wenn das nicht reicht, könnte noch der Kronenburger See im Kylltal und der Freilinger See östlich von Blankenheim mit in das Besuchsprogramm aufgenommen werden, denn auch diese liegen im Deutsch-Belgischen-Naturpark.

Text: Martin